Dienstag, 18. Juni 2013

Selektive Aberkennung von Ehrenbürgerschaften. Die Mitläufer werden gehenkt, die Täter lässt man laufen

Anton Brenner (Stadtrat der Linken) zur Tagesordung "Aberkennung von Ehrenbürgerschaften wegen NS-Verstrickung" im Tübinger Gemeinderat am 17. Juni 2013

Die heutige Diskussion geht auf einen Antrag der Linken vor sechs Jahren zurück: NS-Verstrickung Tübinger Ehrenbürger. Ehrung derer, die in der Nazizeit Widerstand geleistet haben, die verfolgt, verfemt und ermordet wurden. Wir schrieben damals:
Wie in vielen Firmen und Städten muss die Nazi-Vergangenheit und der Umgang mit ihr in der Nachkriegszeit aufgearbeitet werden. Selbstverständlich haben viele ehemaligen Nazis in der Nachkriegszeit Außerordentliches geleistet. Doch der Eindruck, dass sich niemand einer Verstrickung in der Nazizeit entziehen konnte, ist falsch. Zur Ehrenrettung der Stadt Tübingen gab es Menschen, die Widerstand geleistet haben, die verfolgt, vertrieben und vernichtet wurden. Sie wurden bisher bei Ehrungen vergessen. Auch deshalb stellen wir den folgenden Antrag:

Auf der Ehrenbürgerliste wird die Mitgliedschaft in Naziorganisationen mit Erläuterungen aufgenommen (z.B. bei den Ehrenbürgern Adolf Scheef, Paul Schmitthenner, Dr. Theodor Haering, Hans Gmelin, Wilhelm Vetter, Dr. Gebhard Müller, Dr. Kurt Georg Kiesinger, Dr. Theodor Eschenburg und Dr. Walter Jens)

Auf der Ehrenbürgerliste werden die im Dritten Reich ernannten und danach gestrichenen Ehrenbürger im Sinne der historischen Wahrheit aufgeführt, z.B. die 1933 ernannten Tübinger Ehrenbürger Paul von Hindenburg, Adolf Hitler, Gauleiter Murr und Kultusminister Mergenthaler. Auch das gehört zur Vergangenheit Tübingens.

Wer in Tübingen Widerstand geleistet, als Tübinger Bürger aus politischen oder rassistischen Gründen von den Nazis verfolgt oder ermordet (mindestans 12 Namen) wurde, erhält posthum die Tübinger Ehrenbürgerschaft - oder wird mit mit der Benennung von Straßen und Plätzen geehrt. Dazu gehören alle ermordeten jüdischen Mitbürger, die verfolgten und verfemten Wissenschaftler Hans Bethe, Traugott Konstatin Oesterreich, Erich Kamke, Helmut Erlanger, Ludwig Weinheber, sowie die verfolgten Tübinger Bürger Gottlob Frank, Fritz Kehrer, Johannes Kost, Wilhelm Baudermann, Hugo Benzinger und Ferdinand Zeeb. 1933 wurden aus Tübingen 12 Kommunisten und die Sozialdemokraten Gottlob Frank und Jakob Rühle in das KZ Heuberg verschleppt. Aus dem Tübingen Stadtteil Hagelloch wurde Gemeinderat Starzmann verfolgt, vverfolgt wurde auch Friedrich Laur von der SPD, der Großvater des früheren WUT-Stadtrats Römpp.

Inzwischen hat die SPD mit einen Antrag zur Ehrung verfolgter Stadträte unsere Initiative aufgegriffen und heute geht es nun um die Behandling der Ehrenbürger mit NS-Verstrickung. Unser Hauptziel war nicht ein erneutes Spruchkammerverfahren sondern die Ehrung des Widerstands und der Verfolgten - und da hat sich bis heute nicht viel getan. Fast 70 Jahren nach Kriegsende ist dies immer noch ein heikles Thema. Ich verweise auf den Streit um den Text der Gedenktafel an der Synagoge, wo erbittert dagegen gekämpft wurde, dass Namen genannt wurden, Walter Jens wollte nur den Text "Du sollst nicht morden" anbringen lassen. Ich erinnere an den aktuellen Streit um die Ehrung des Mössinger Generalstreiks gegen Hitlers Machtergreifung.
Zu der Frage der NS-Verstrickung der Tübinger Ehrenbürger gibt es die radikale Lösung, wie sie von Außenminister Joschka Fischer 2003 für die Beschäftigten des Auswärtigen Amtes eingeführt wurde: Wer in der NSDAP oder in anderen NS-Organisationen war, bekommt keinen ehrenden Nachruf. Wenn wir dies auf Tübingen übertragen, müssten wir alle streichen: Täter, einefache Mitglieder oder Opportunisten (deutsch: Mitläufer). Das wollen wir nicht. Es waren auch nicht wir, sondern der damalige Fraktionsvorsitzende der WUT-Gemeinderatsfraktion (ein Neffe von Hans Gmelin), der eine Art NS-TÜV für Ehrenbürger einführen wollte. 2001 beantragte er, vor der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Wilhelm Beyer eine eventuelle Nazi-Verstrickung untersuchen zu lassen. Die damalige SPD-Bürgermeisterin hat dies dann veranlasst.
Zu dem heutigen Antrag der Grünen und der SPD, selektiv die Ehrenbürgerschaften von Hindenburgs, Scheefs und Haering anzuerkennnen: Es gibt einen ernsten Fall, der sich selbst zu den Tätern des NS-Regimes zählte und der auch auf der Wikipedia-Liste "Täter des Holocaust" auftaucht: Hans Gmelin. Im Vergleich dazu sind alle anderen Fälle harmlos. Haering ist vielleicht vergleichbar mit Fritz Schäfer, dem SPD-Bundestagsabgeordneten und langjährigen SPD-Stadtrat in Tübingen. Er war von 1933 bis 1945 NSDAP-Mitglied, Haering nur von 1937 bis 1945. Und der ehemalige Liberale Scheef ist vielleicht vergleichbar mit Otto Koch von der SPD, die beide umgefallen sind, Scheef ist aber nicht wie Koch 1937 in die NSDAP eingetreten.
Wir haben hier einen heuchlerischen Antrag von SPD und Grünen, der nur ein Ziel hat: vom Fall Gmelin abzulenken. Mit uns gibt es entweder eine generelle Lösung, die Gmelin einschließt, oder keine. Man kann nicht die Opportunisten oder Mitläufer hängen und die Täter laufen lassen bzw. auf die lange Bank schieben per Forschungsauftrag. Damit die Diskussion darüber nicht verstummt, ist eine "weitere Befassung des Gemeinderats erforderlich", wie es im Antrag von Herrn Schöning (FDP) formuliert ist. Wir unterstützen diesen Antrag.

(Die Anträge von Grünen und SPD gingen mit ihrer 50%-Mehrheit von 20 Stimmen durch. Oberbürgermeister Boris Palmer enthielt sich, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Befassung bis nach der Klärung des Falls Gmelin verschieben zu lassen.)

http://tuelpds.twoday.net/stories/64963531/
http://tuelpds.twoday.net/stories/695817/
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Anton-Brenner-fordert-Konsequenzen-aus-der-lokalen-Nazi-Geschichte-_arid,161938.html
http://www.tuebinger-wochenblatt.de/tue/page/detail.php/3042861
http://static.twoday.net/rathaus/files/Eichmann-Ludin-Globke-Gmelin.pdf
http://rathaus.twoday.net/stories/326206788/
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gmelin
http://tuelpds.twoday.net/stories/663781/
http://tuelpds.twoday.net/stories/4089553/
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:T%C3%A4ter_des_Holocaust
http://www.tuebingen.de/11.html#1336

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