Die Bürgermeister Boris Palmer und Michael Lucke halten sich teure persönliche Referenten und schmeißen dafür die Auszubildenden raus

Anmerkungen der Linken zur Haushaltsdebatte in Tübingen

2008 war Tübingen schuldenfrei. Vor einem Jahr hatte Tübingen mehr Geld (Rücklagen) als Schulden. Die Schulden wurden nicht getilgt, weil die Stadt für das kurzfristig angelegte Geld mehr Zinsen bekam als sie für die Kredite zahlen musste.

Dann kam die Bankenkrise mit ihren Folgen für die Realwirtschaft. Jetzt geht es um den richtigen Weg aus der Krise.

Keynes oder Brüning?

Wie reagiert die Bundesregierung? Statt Vollbremsung - kreditfinanzierte Konjunkturprogramme. Statt Steuererhöhungen – Steuererleichterungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Finanzminister Schäuble (CDU) erklärt sich zum Anhänger des Wirtschaftswissenschaftlers Keynes: In der Krise muss der Staat gegensteuern, auch kreditfinanziert mehr Geld ausgeben, damit die Wirtschaft wieder brummt. Wenn es dann besser geht, können die Schulden wieder abgebaut werden. Wer in der Krise auch noch spart, verlängert die Krise und riskiert einen Teufelskreis nach unten.

Gute Schulden

Die Linke teilt im Grundsatz diese Einsicht. Von der CDU von Merkel/Schäuble unterscheidet sie sich gleichwohl: Steuergeschenke nicht an die Reichen, die Steuergeschenke doch nur erneut in das Finanz- und Spekulationskarussell weiterreichen. Eher mehr Geld für die unteren Einkommensgruppen, weil dort jeder Euro sofort Nachfrage und damit Arbeitsplätze erzeugt und sichert. Warum nicht wie Obama in den USA und wie die japanische Regierung das übrig gebliebene Geld aus dem Bankenrettungsfonds den Kommunen zur Verfügung stellen, die vor Ort ebenfalls Nachfrage erzeugen und damit Arbeitsplätze sichern?

CDU gegen Merkel

Die CDU im Tübinger Gemeinderat müsste eigentlich, nach dem Vorbild von Schäuble und Merkel, für schuldenfinanzierte Investitionen eintreten, jede Massenbelastung vermeiden und eher den Tübinger Bürgen die Steuer- und Abgabenlasten erleichtern. Stattdessen überschlägt sie sich mit Sparvorschlägen und tritt mit der hiesigen SPD und den Grünen in einen Wettstreit, wer auf mehr Grausamkeiten kommt.

SPD brutalstmöglich

Die Tübinger SPD bringt nur noch eine taktische Variante ins Spiel. Sie fordert von der Verwaltung einen brutalstmöglichen Spar- und Steuererhöhungskatalog, dass sie diesen dann etwas bürgerfreundlich abmildern kann. Der Provinztaktiker Rosemann in Höchstform. Nur blöd, dass es jeder merkt, sogar das Tagblatt.

Also nichts mit Keynes bei den lokalen Vertretern von CDU und SPD, bei den Grünen schon gar nicht. Selbst die FDP mosert noch an den vorgesehenen Ausgaben für Investitionen herum.

Palmer halblinks

Gegen diesen rechten Block von Rosemann (SPD) bis Kühn (CDU), von Sparkommissar Gebhard-Pietsch (Grüne) bis Schöning (FDP) profiliert sich Oberbürgermeister Boris Palmer geradezu als einsamer Mitte-Links-Politiker.

Er will keine Abstriche an seiner Investitionsliste und beruft sich dabei auf Schäuble.
Abstriche macht er nur bei Investitionen, die er sowieso nie wollte. Wie beim Holderfeld-Sportplatz. In der Frage der Abgaben- und Steuererhöhungen und bei Leistungskürzungen bläst Palmer jedoch ins gleiche Horn wie der konservative Block. Teilweise jedoch aus anderen Gründen.

Palmer rettet die Welt

Er glaubt nicht unbedingt an die alten neoliberalen Dogmen wie etwa der Agenda-SPD-ler Rosemann. Er will die Welt retten. Und da kommt ihm eine Reduktion des privaten Konsums gerade recht. Er weiß besser, wie das Geld der Bürger zur Rettung des Klimas eingesetzt werden kann. Den Bürgern will er das Wohnen per Grundsteuererhöhung und Mietspiegel verteuern, damit pro Kopf weniger Wohnraum beansprucht wird. Den Bürgern sollen durch höhere Parkgebühren das Automobil vergällt werden, das spart CO2. Und wer kräftig mit höheren Strom- und Gaspreisen abgezockt wird, regelt vielleicht die Raumtemperatur herunter und zieht einen Pullover an.

Vorauseilender Gehorsam

Boris Palmer vertritt seine Politreligion mit großer Inbrunst. Das ehrt ihn, führt aber auch zu politischem Blödsinn. Weil er in der Wirtschaftskrise eine große Chance für die Klimarettung sah, will er sie auch nicht unbedingt mit mehr Konsumnachfrage und Wachstum abmildern. Er rühmt sich im Gegenteil, anders und vor anderen Städten auf die Sparbremse getreten zu sein, mit Ausnahme seiner ökologisch motivierten Investitionen. Damit riskiert er, dass Bund und Land erst recht nicht daran denken, die Kommunen finanziell besser auszustatten, weil sie unter Berufung auf Palmer ja sagen können, es gehe ja auch so, die Gemeinden hätten ja noch genügend Möglichkeiten, die Kosten zu reduzieren und die Gebühren und Steuern zu erhöhen.

Kopfgeld für alle

Und das passt auch in das langfristige Steuerkonzept der politischen Rechten, die einkommensabhängige Steuern und Abgaben immer mehr abzuschmelzen will, um sie durch Kopfsteuern, Kopfgebühren, Konsumsteuern und Gebühren zu ersetzen.
Das trifft hauptsächlich den „kleinen Mann“. Das ist der Kern einer gigantischen Umverteilung von unten nach oben.

Linkes Vorbild USA?

Wie verhalten wir uns als Linke in Tübingen? Wir teilen die Auffassung des Ulmer Oberbürgermeisters Ivo Gönner (SPD), der nicht in vorauseilendem Gehorsam die kommunalen Steuern und Gebühren erhöhen möchte. Wir wollen den Druck auf Bund und Land erhöhen, einen Teil der nicht gebrauchten Gelder für die Bankenrettung an die Gemeinden zu geben, wie dies ja in den USA oder in Japan geschieht.

Schuldenverbot wie im Islam?

Es bleibt nichts anderes übrig, als kurzfristig mehr Schulden zu machen. Den Schulden stehen schließlich Werte gegenüber. Investitionen in die ökologische Sanierung von Gebäuden. Das rechnet sich langfristig. Investitionen in die Kinder und die Bildung. Auch das ist unser Zukunftskapital. Die Investitionen sind immer noch doppelt so hoch wie die Neuverschuldung. Jeder Häuslebauer wäre froh, wenn er mit 50% Eigenkapital bauen könnte. Schulden sind keine Sünde sondern die Voraussetzung für schnellere Innovationen. Je schneller wir auch über eine höhere Verschuldung aus der Krise kommen, desto schneller werden die Steuereinnahmen aus einer erholten Wirtschaft wieder sprudeln.

Aderlass-Kurpfuscher

Die Kollegen Dr. Kühn (CDU) und Dr. Rosemann (SPD) propagieren dagegen Rosskuren nach Dr. Eisenbart: Der Sieche wird auch noch zu Ader gelassen, die Kuh, die Milch geben soll, wird unter Hungerdiät gestellt. Und Boris Palmer will mit der schwarzen Pädagogik über Steuer- und Gebührenerhöhungen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Mehr Spielraum für seine Investitionen (die wir ja befürworten) und persönliche Sparbeiträge für die CO2-Vermeidung.

Geld für Bund und Land

Dabei erreicht er oft nur, dass eine Umverteilung von den Gemeinden zu Bund und Land stattfindet, statt umgekehrt. Wenn er den Bürgern 100 000 Euro mehr abnimmt fürs Parken in Parkhäusern, haben die Tübinger Bürger 100 000 € weniger Kaufkraft. Die Stadtwerke können der Stadt aber nicht 100 000 € mehr Gewinn überweisen. Denn von den 100 000 € wandern 19% Mehrwertsteuer, 15% Körperschaftssteuer, 15% Gewerbesteuer, 17% Ertragssteuern der Stadt an den großen Steuertopf, von dem die Stadt nur den geringeren Teil zurückbekommt, so dass am Schluss 43 000 bei Land und Bund landen und die Stadt um diesen Betrag insgesamt ärmer geworden ist. Verbal Gejammer um mehr Geld von Land und Bund, faktisch geschieht das Gegenteil.

Saustall Kunsthalle

Wir beteiligen uns nicht an der Einsparorgie. Trotzdem gibt es ein paar wunde Punkte. Hier könnte die Stadt auch einsparen. Die Kunsthalle bekommt pro Jahr für Personalkosten 360 000 €, ob sie dafür Leute beschäftigt oder nicht. Auf seltsame Weise vermehrte sich auch so das Stiftungsvermögen, das nach Auskunft von Götz Adriani in Aktien von General Motors angelegt wurde. Mit vernichtendem Erfolg. Adriani trollte sich zur Burda-Stiftung, spielt in Tübingen aber immer noch den großen Zampano. Unser Vorschlag: Was nicht für Lohnkosten ausgegeben wurde, wird der Stadt zurückgezahlt.

Statt bei Auszubildenden

„Die Kosten für die Weiterbeschäftigung der Auszubildenden werden aufgrund der angespannten Haushaltssituation gesenkt.“ So heißt es in einer Verwaltungsvorlage, die am 25. Januar 2010 im Verwaltungsausschuss beschlossen werden soll. Bisher konnten die Auszubildenden mit einer Weiterbeschäftigung von einem halben Jahr rechnen, aus guten Gründen: „Mit der Sicherheit, zumindest eine befristete Weiterbeschäftigung zu erhalten, ist es für die Auszubildenden leichter, sich auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen vorzubereiten. Anschließend können sie praktische Erfahrungen sammeln und sich gezielt auch bei anderen Arbeitgebern auf geeignete Stellen zu bewerben. Als großer öffentlicher Arbeitgeber hat die Stadtverwaltung eine soziale Verpflichtung, junge Menschen nach der Ausbildung nicht sofort in die Arbeitslosigkeit zu entlassen.“ Das kostete bisher 210 000 € im Jahr. Damit soll jetzt Schluss sein. Nur noch die Hälfte der Auszubildenden sollen in Zukunft dieses halbe Jahr Praxiserfahrung bekommen. Sie sollen sich auch noch darum streiten, nach einem strengen Auswahlverfahren: „Theoretische Kenntnisse und praktische Bewährung/Beurteilung, soziale Kompetenz und Engagement, Eignung für die konkrete Tätigkeit.“

… Einsparungen allenfalls oben

Wie wäre es, wenn die persönlichen Referenten der drei Bürgermeister sich so einem Auswahlverfahren stellen müssten. Drei Referenten für anderthalb Stellen. Oder können diese drei gut dotierten Stellen, die in der Zeit, als die Stadt genug Geld hatte, eingerichtet wurden, um die Bürgermeister zu entlasten, nicht in schlechten Zeiten ganz abgeschafft werden. Palmer sagt, er habe seinen Laden so im Griff, dass er auch zwei Monate Elternzeit nehmen könne. Wozu also persönliche Referenten, die kein Vorgänger benötigte? Und zur Finanzierung dieses Luxus die Auszubildenden rausschmeißen?

Anton Brenner, Gerlinde Strasdeit, Angela Hauser
Stadträte der Linken in Tübingen. 16. Januar 2010

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